Außerhalb von Jamaica versteht kaum einer, was Reggae eigentlich ist. Sooza Böhm und Rainer Remake beleuchten in dieser Dokumentation More Fiyah — Ragga/Dancehall Film auf VHS und DVD einmal die Hintergründe.

Produktion – Sooza Böhm & Rainer Remake
Schnitt – Sooza Böhm & Rainer Remake
Regie & Kamera – Sooza Böhm
DVD Konzept + Authoring – Rainer Remake
Grafik – Lazer

Ragga VHS & DVD 80min | 2002 | Concret Jungle

More Fiyah - Tristan Palmer
More Fiyah – Tristan Palmer

Ragga/Dancehall Revival

Reggae gewinnt in den letzten Jahren enorm an Popularität. In den 70er Jahren hatte Reggae einen großen Marktanteil in Deutschland. Nach dem Tod vom Bob Marley verschwand der Reggae aus der deutschen Medienlandschaft. Seit mehreren Jahren brodelt es wieder und der Reggae Beat erobert die Charts in Europa. Auf immer mehr Soul, RnB, Hip Hop,Jungle, House- und Drum’n’Bass-Tracks werden Reggae-Artistes gefeatured. Reggae ist nicht nur in allen Genres vertreten, sondern orientiert sich auch an deren neuesten Beats. Doch außerhalb von Jamaica versteht kaum ein Mensch, um was es bei Reggae eigentlich geht. Daher gilt es auch einmal die Hintergründe zu beleuchten, um auch die Message, die der Reggae mit sich bringt, weltweit zu tragen.

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Was ist Ragga/Dancehall?

Die Verkaufsstrategie in Jamaika besteht darin, die Hitselection (als Selection bezeichnet man die verschieden Versions auf einem instrumental) zuerst auf lokalen Radiostationen in JA zu spielen. Erst wenn die Nachfrage groß, werden diese Singles für den Verkauf im Ausland (Amerika, Europa und Japan) freigegeben. Ein weiterer Aspekt der Promotion sind die Soundsystems, die Pre-releases auf Ihren Dances spielen und somit zur Popularität beitragen. Und beginnt eigentlich erst unsere Geschichte. Um einen Reggae-Ragga-Dance zu garantieren braucht man ein Soundsystem. Ein Soundsystem, so wie man es in JA findet, besteht aus einem MC (DJ), Selector (bestimmt musikalischen Ablauf), Operator (bedient Effektgeräte), eine Tonne Speakers und nuff nuff Dubplates. Ein Dubplate ist eine mit azetatbeschichtete Alluminiumscheibe, die wie eine Schallplatte bespielt wird. Der Song wird auf das Azetat eingeritzt.

More Fiyah - Dubplates
More Fiyah – Dubplates

Ursprünglich wurden spezielle Dubmixes auf die Dubplates geschnitten (daher der Name) jedes Soundsystem hatte somit ein Unikat eines Dubmixes, den sie in Auftrag gegeben hatten, um somit ihre exlusivität zu steigern . Später haben die Artists Lobpreisungen an die jeweiligen Soundsystems auf Dubplates gesungen. Dies hält bis heute an und ist das wichtigste Medium für den Erfolg eines Soundsystems. Um einem Dance oder Bash richtig Feuer zu verpassen, clashen sich verschieden Soundsystems mit ihren Dubplates. Im Hip Hop wird gebattled im Ragga geclashed. Man könnte sagen ein Dubplate ist das Werkzeug eines Soundsystems. Um sich diese Werkzeuge zu besorgen, muss man also nach Jamaica fahren.

Mama Africa

Von hier kommt der Reggae und hier sind seine Wurzeln, auch wenn diese für die Menschen eigentlich in Afrika liegen. Aber Reggae-Vibes, wie man sie hier lebt, müssen auch ihren Ursprung hier haben. Es gibt viele Dokumentationen über Reggae in Zusammenhang mit verschiedenen Personen z.B. Bob Marley, Garnet Silk, Jimmy Cliff uva In den 90ern rult der Dancehall-Ragga. Einst als Rude-Boy-Music verschrien, lebt er jetzt in seiner Counscious-Ader weiter. Die Menschen belehren sich und einst alte Worte werden wieder aufgepeppt.

Reggae-Vibes
Reggae-Vibes

In Jamaika wird alles gecovert, egal ob Hits von Backstreetboys, Wham, Madonna, Percy Sledge, Eurythmics oder Cher. Um Dancehall-Reggae zu verstehen, muß man wissen, daß das Covern sich nicht nur auf Popsongs beschränkt, sondern auch innerhalb des Genres ein essentielle Rolle spielt. Der Erfolg eines Instrumentals ( im Reggae auch Riddim genannt) ist ausschlaggebend dafür, wie oft es besungen (gevoiced) wird. Die erfolgreichsten Riddims werden sogar in periodischen Zeitabständen zeitgemäß neu aufgepeppt. D.h. z.B. Ende der60er Jahre entstanden viele Instrumentalstücke, die so beliebt waren, daß es bis heute unzählige Gesangsversionen gibt. Somit ist es zum Riddim avanciert. Jährlich gibt es mehrere Versionen von verschiedenen Produzenten, die diese Riddims neu produzieren, d.h. Thema und Bass bezeichnen den Riddim. Egal, wie schnell oder langsam er gespielt wird und in welchem Rhythmus. Die Sounds können variiert werden, aber Thema und Bass geben den Wiedererkennungswert.

More Fiyah - Simpleton
More Fiyah – Simpleton

Pressestimmen More Fiyah

Ah, Dancehall-Videos, lieben wir sie nicht abgöttisch??? Willkommen also in der Welt der Wackelkontakte, wo Geflimmer & Geflacker, Ton- und Farbausfülle genauso Stilmittel sind wie Kameras, die wie Blutegel auf den Gals mit den feistesten Puffern kleben, und wenn sie sich mal losreißen können und das Objektiv Richtung Bühne drehen, dann seit ihr nicht sicher, ob sich vor Euren entzündeten Augen Bounty Killer oder die Backstreet Boys abstrampeln. Einfach weil Ihr Bilder vorgesetzt bekommt, die in etwa so scharf sind, wie die Welt durch die trüben Pupillen von Frankie Paul aussieht – wenn der mal wieder seine Hornbrille im Studio verlegt hat! 

More Fiyah - Sindbad
More Fiyah – Sindbad

More Fiyah ist anders

Okay, okay, was wollen wir Euch mit mit der Aufzählung all dieser traurigen Tatsachen nun schonend beibringen? Ganz einfach : das „More Fiyah“ alles ist, NUR DAS NICHT! Will sagen, wir haben es hier schlicht mit dem stimmigsten, athmosphärisch dichtesten, qualitativ besten Dancehall-Video zu tun, das wir in Jahren in unseren billigen Daewoo-Recorder geschoben haben! Eigentlich nur als Dokument konzipiert, dass den üblichen Dub-Plate Hustle in Jamaica einfangen sollte, ist es letztendlich zu einem packenden Portrait von Dancehall-Kultur und livity geworden. Und im Gegensatz zu anderen Reggae-Dokus erpart man uns unbeholfene Interpretationsversuche und auch das relativierende Gequatsche aus dem Off, das einen bei (Fernseh-) Filmen dieser Art immer zur Verzweiflung treibt. 

Nein, man bzw. Frau (Sooza, die Kamerafrau, Cutterin und Regisseurin) läßt einfach die Hauptdarsteller sabbeln, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und Concrete Jungle`s Fubu-Lazer gibt sozusagen den stummen, verständnisvoll nickenden, hart (ver)handelnden, Benjamins hinblätternden Zampano ab, der mit stoischer Don`t-Fuck-About-Mine durch die Landschaft zottelt und alles unter Kontrolle hat. 

More Fiyah - Sindbad
More Fiyah – Sindbad

Ragga/Dancehall Old Stars

Ein paar Mal überwältigt es ihn allerdings doch. Etwa, als er ergriffen Ward 21 bei „Judgement Day“ lauscht, und mitbekommt, wie die Vier allen Freaks und Fasseys, Parasiten und Pussy-Abschleckern (and fire `pon di man who eat pussys like rice!!!) die Leviten lesen. Oder wie er bei Sugar Minott`s Special von „Herb Man Hustlin`“ zwischen den zum Schneiden dicken Weedschwaden im Youth Promotion Studio auf & ab hopst, daß ihm der Schweiß unter seiner Baseball-Kappe hervorschießt. Aber eigentlich spricht jede Sequenz für sich. 

Ein wie ein Breitmaulfrosch grinsender Harry Toddler beim Einstudieren seiner Lyrics vor dem Safire Dub-Plate Studio gibt ein göttliches Bild ab. Bei Live-Auftritten des wie immer unfehlbaren Capleton, von Sizzla, von Cocoa Tea & Louie Culture bekommt ihr die Griffel gar nicht mehr von der Rewind-Taste herunter, und spielende Strandkinder, eine Rasta-Convention und eine Menge scharf beobachteter und sensibel (nach)vertonter Straßenszenen geben dem Film einen unnachahmlichen Fluss (schätze, daß die Nachricht, das Barney Millah bei der Uraufführung von „More Fiyah“ losgeheult hat wie ein Schloßhündchen, nicht ganz auf freier Erfindung beruht!).

`Nuff Big Ups also! Das Ganze ist eine Werbung für Jamaica, eine Werbung für Dancehall, und, ja auch das müssen wir hier noch loswerden, eine Werbung für Berlin`s Foundation Sound-System, dass keinen Sand mehr im Getriebe hat und wieder auf allen Zylindern kocht!